Krakau ist bekannt für die gut erhaltene Innenstadt (welche auch UNESCO Weltkulturerbe ist), ein vielfältiges Kulturleben aber auch als günstige Partydestination. Als ich jedoch letztes Jahr die Gelegenheit hatte nach Krakau zu reisen, war mir jedoch schnell klar, dass das ehemalige jüdische Viertel – Kazimierz, für mich eine der spannendsten Attraktionen darstellt.
Insgesamt ist die Architektur in Krakau vom Krieg weitgehend verschont geblieben. Und das ist das Besondere – Kazimierz ist der größte zusammenhängende jüdische Baukomplex in Zentraleuropa. Die “Hardware” ist sozusagen vorhanden. Das ist faszinierend zu besichtigen, weil in anderen europäischen Städten das bauliche jüdische Erbe dem Holocaust zum Opfer gefallen ist. Seit der Öffnung nach dem Mauerfall hat sich in dem Viertel eine sehr lebendige Kultur ausgebreitet.
Angeführt vom Klezmer Musik Festival und im Schlepptau des Films “Schindler’s Liste” (der in Krakau an Originalschauplätzen gedreht wurde) setzte ein lebhafter Tourismus auf der Suche nach jüdischer Kultur ein. Osteuropäer kommen, um ein jüdisches Erbe zu suchen, welches ihnen jahrzehntelang vorenthalten wurde, Westeuropäer sind auf der Suche nach einer jüdischen Kultur, die in ihren Heimatländern dem Erdboden gleichgemacht wurde. Und dann kommen noch amerikanische Juden auf der Suche nach ihren Wurzeln.
Genauso wie in anderen europäischen Städten war aber auch in Krakau über Jahrzehnte keine lebendige jüdische Kultur vorhanden. Haben die Nazis vielleicht das bauliche Erbe verschont, so wurde die jüdische Gemeinde nahezu vollständig vernichtet. Obwohl also in Krakau keine jüdische Gemeinde mehr existiert, hat sich eine jüdische “Kultur” entwickelt, die von den zahlreichen Touristen dankbar angenommen wird. Das jährliche Klezmer Musik Festival, die zahlreichen jüdischen Restaurants, welche Gerichte mit “jüdischen” Namen anbieten und diese mit sanfter Klezmer Musik untermalen. All dies wurde ab den 90er Jahren etabliert und erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Das Interessante dabei ist, dass weder die Akteure und Betreiber noch die Gäste einen jüdischen Hintergrund haben.
Die Geschichte der Vernichtung der Juden in Krakau ist gleichzeitig präsent und spürbar – Neuinszeniert wird jedoch das Schtetl, eine verlorene Tradition, jedoch nahezu ohne Juden. Dieser jüdische Thementourismus stellt mittlerweile eine eigene Nische dar – mit Restaurants, Souvenir und Kitschläden welche sich innerhalb der erhaltenen Baususbstanz etablieren. Ruth Ellen Gruber schreibt dazu:
“Jüdisch” stellt nun etwas Vergangenenes aber stark Erinnertes dar; eine verlorene Welt, überdeckt durch verlorenen Besitz, verlorenen Annehmlichkeiten, schummrig beleuchtet und sepia getönt, jedoch leicht exotisch”
Zweifellos handelt es sich um eine Gratwanderung zwischen Kommerzialisierung und Wiederbelebung eines lange verschütteten Erbes. Es ist jedoch jedenfalls schön, wenn diese Entwicklungen einen kleinen Baustein gegen den Antisemitismus darstellen können.
Zum Weiterlesen und Schauen:
Ruth Ellen Gruber – DIE Expertin zu jüdischen Thementourismus in Europa, eine wahre Fundgrube mit vielen Texten
Die Welt hinter der Schranktür – ein gut zu lesender Artikel über Schtetl Tourismus in Osteuropa


